„Auf dem Eck“ und der Hochburg in Süddeutschland

Dass ich neben der Fotografie auch eine Leidenschaft für Wein hege, ist kein Geheimnis. So wie jedes Foto durch das kreative Auge, der unterschiedlichen Perspektive eines Fotografen und den nachfolgenden Post-Processing-Schritten eine ganz individuelle Note erhält, so ähnlich verhält es sich auch beim Wein.
Lage x Rebsorte x Winzer x Mikroklima x Weingartenbewirtschaftung x Jahrgang x Kellertechnik ergibt in Summe ein sehr breites Feld an Varianz. Willkommen in einer faszinierenden Welt der schier unendlichen Vielfalt von Stilistik und Geschmack! Und wie auch in anderen Fachdomänen –  zB. der Fotografie oder der Musikreproduktion – gilt beim Rebensaft ebenso: was am Anfang zB. bei der Aufnahme bzw. Belichtung oder Weingartenpflege verabsäumt wird, ist am Ende der Prozesskette zumeist unwiderruflich verloren oder weniger dramatisch ausgedrückt: zumindest mit erheblichen Qualitätseinbußen behaftet.

Ende des kleinen Exkurses und der Analogien 😊. Punkt.

Wenn ich bei der Planung einer Reise zufällig draufkomme, dass sich eine bekannte Weinregion in der Nähe befindet, dann freue ich mich natürlich, denn die Chancen stehen nicht schlecht, dass ich in meinem bisherigen Leben als „Reblaus“ bereits eine Flasche aus diesen Gefilden geleert habe könnte. Und eine Weinregion in ihrer Topologie sowie klimatischen Eigenheiten einmal gesehen und erfühlt zu haben, kann zum Verständnis des Weins selbst hilfreich sein. Ein kleiner Mosaikstein im großen Weinuniversum.

Zielregion (einer Dienstreise) war der südwestlichste Teil Deutschlands – in der Nähe von Freiburg. Das ist das sonnenreichste und wärmste Gebiet nicht nur des Bundeslandes Baden-Württembergs, nein angeblich sogar von ganz Deutschland. Und die Reben des Kaiserstuhls profitieren davon. Ein guter Platz für Weine aus der Burgunderfamilie: Pinot Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir und Chardonnay –  das muss hier jetzt auch Französisch sein, denn die Grenze zum benachbarten Elsass, markiert durch den gut sichtbaren Rhein, befindet sich nur einen Katzensprung vom Kaiserstuhl entfernt. Einer der Weinhändler meines Vertrauens bietet Weine von Holger Koch aus Bickensohl. Und ich kenne diese seit Jahren – biologischer Anbau, Handlese, spontan (teils auf der Maische) vergoren, Ausbau im großen Holzfass und unfiltriert auf die Flasche gezogen. Eine harmonische und mir sehr sympathische Weinlinie. Durch und durch empfehlenswert. Genug der Werbung jetzt.
Ein Wermutstropfen bleibt aber: denn nicht viele Österreicher kaufen deutschen Weißwein. Ein Jammer. Zu überzeugt und patriotisch sind wir oftmals von unseren eigenen Weinen. Ein bisschen zu engstirnig vielleicht? Sind uns unsere Nachbarn doch im Weißweinbereich (meiner bescheidenen Meinung nach) mehr als nur ebenbürtig und haben eine großartige Vielfalt an Weinlandschaften und Winzerpersönlichkeiten zu bieten. So wie wir in Österreich eben auch.

Zurück aber zum Kaiserstuhl. Ein wunderbares Beispiel dafür, warum Wein weniger mit Natur als mit Kultur (und Technik > Kulturtechnik) zu tun hat. Der Mensch formt den Berg, um „bessere“ Erzeugnisse zu erzielen. Besser im Sinne der Erhaltung nährstoffreicher Erde (Erosionsvermeidung), besser in der Ausnutzung der Sonneneinstrahlung, besser im Qualitätsverständnis des Erzeugers, besser in der Quantität, besser aber auch in einer einfacheren Bearbeitung und somit Einsparung von Aufwand und Zeitbedarf. Ein multidimensionales Feld. Ich möchte hier als landwirtschaftlicher Laie weder pro noch contra Natur bzw. Kultur Partei ergreifen. Der Hausverstand sagt mir, dass beides in einem nachhaltigen Sinn möglichst gut koexistieren kann, ohne Schlagseite auf Ausbeutung & Gewinnmaximierung oder ökologischem Fundamentalismus zu bekommen.

Weinbau wird in dieser Gegend hier schon sehr lange betrieben. Aktenkundig ist der Weinbau seit 769 in Bötzingen, wie im reisebloegle nachzulesen ist. Jedenfalls war es in den 1960er und -70er Jahren, wo der Kaiserstuhl durch grobe Erdarbeiten – in schöner klingendem Neudeutsch: Flurbereinigung – sein heute so typisches Terrassengesicht und -form erhalten hat. Die Weinpreise waren am Boden, Existenzen, welche seit Generationen ihren Lebensunterhalt durch Weinbau bestritten, bedroht. Einsparung durch Rationalisierung hieß das Zauberwort, das alles wieder ins Lot bringen sollte.
Heute wird Vieles von damals in einem anderen Licht gesehen, so zB. das Verschwinden vieler Hohlwege als ökologische Nischen. Im Web werden Interessierte zum Thema „Der Kaiserstuhl vor der Flurbereinigung“ durchaus fündig:

Wir kommen vom Norden über Kiechlingsbergen und nehmen die Oberbergener Straße, wo sich nach dem Wald rasch eine prachtvolle Aussicht vom „Auf dem Eck“ bietet. Der Aussichtspunkt Richtung der beiden Orte Oberbergen & Vogtsburg, sowie dem Kaiserstuhl selbst, wird wegen der vielen Serpentinen einer regionalen Radchallenge im Dreiländereck auch „Texaspass“ genannt. Tief eingeschnitten schlängeln sich durch die Reblandschaft die Kurven der Landstraße. Schönste Weinsicht Badens trägt stolz das Schild einer stilisierten Weinrebe auf dem nachfolgenden Parkplatz, der einen guten Blick auf die Terrassen der Weinlage Oberbergener Bassgeige ergibt und Dank der Dientreise kann ich auch noch meine zwei attraktiven Arbeitskollegen in die Szenerie mit integrieren. Fast schon kitschig schön 😉.

Lt. Wikipedia verdankt der Kaiserstuhl seinen Namen vermutlich König Otto III., der hier im Dezember 994 einen Gerichtstag abhielt und damit wurde der Gebirgszug als „Königsstuhl“ bezeichnet. Nachdem der Krönung von Otto III. zum Kaiser wurde aus dem „Königsstuhl“ der „Kaiserstuhl“. Solche Angeber! Höchster Punkt am Kaiserstuhl ist den weithin sichtbar Fernmeldeturm Vogtsburg-Totenkopf auf 552 m. Für die Gipfelbezeichnung gilt: nomen est omen – denn Gericht halten und Hinrichtung lag im Mittelalter leider oftmals sehr eng beisammen.

Unser Glück wäre perfekt gewesen, wenn, ja wenn an diesem warmen Ende-Septembertag inmitten dieser Reblandschaft irgendwo eine Straußenwirtschaft – so nennen sich hier das, was wir in Österreich als Buschenschank kennen – geöffnet hätte. Sehr ruhig war‘s da am frühen Abend, zu ruhig, nur das moderne Weingut des Platzhirschen Franz Keller hatte geöffnet. Mit den vielen davor parkenden Luxuskarossen Stuttgarter Provenienz erschien uns dies für uns heute nicht das gemütliche Einkehrplatzl, nach dem wir Ausschau hielten und so entscheiden wir uns noch für die weitere Erkundung der Region und steuerten noch einen weiteren grandiosen Aussichtspunkt an – die Hochburg im Landkreis Emmendingen.

Nach einem kleinen 15-minütigen Fußmarsch erreichen wir zur goldenen Stunde die Hochburg. Die warmen und goldgelben Sonnenstrahlen tauchen diese noch immer stattliche Burgruine in einen magischen Ort. Ein idealer Platz, um den Sonnenuntergang und das Abendorange Richtung Frankreich aufzusaugen. Schon am Tag zuvor bei der Herfahrt erlebten wir von Karlsruhe kommend zum Abend ein magisch leuchtendes, intensiv rot-oranges Himmelsspektakel. Außergewöhnlich!

Fast hätten wir die Zeit übersehen, hätten da nicht unsere knurrenden Mägen lautstark die Stille gebrochen und uns damit ein deutliches Zeichen zum Aufbruch gegeben. Ein landschaftlich reizvoller Flecken, der mit Freiburg im Breisgau, Basel in der Schweiz und dem Elsass über dem Rhein meine Lust auf einen nochmaligen, längeren und überregionalen Aufenthalt geweckt hat. Dann aber wohl inklusive meiner besseren Hälfte. Sorry Florian & Steve, auch wenn’s echt lustig mit euch beiden war 😎!

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